Bismillahir rahmanir rahim
Dieses Buch ist mir in der Bibliothek begegnet und natürlich gleich in meinen Korb gewandert. Schließlich findet man nicht so viel moderne Literatur aus Iran bei uns – und wenn, dann ist es explizit „regime“kritisch. Aber das schien mir hier nicht der Fall zu sein: die Geschichte einer Frau, aufgewachsen in der Schah-Zeit, erwachsen geworden in der Revolution, Ehefrau und Mutter in der Islamischen Republik.
Masumeh ist die zunächst einzige überlebende Tochter ihrer Familie (später bekommt sie noch eine kleine Schwester) und hat drei Brüder, zwei ältere, einen jüngeren. Ihre Familie ist patriarchalisch geprägt und Mädchen zählen nicht viel, nicht bei den Brüdern, nicht bei der Mutter und auch wenn der Vater sie liebt, kann er das kaum zeigen. Ihn plagt das schlechte Gewissen, weil man Masumehs Schwester sterben ließ und keinen Arzt holte, als sie krank war – Mädchen passiert schon nichts.
Zunächst wächst Masumeh in der heiligen Stadt Qom auf. Dann zieht die Familie nach Teheran, trotz der Bedenken der frommen Verwandtschaft, die die Großstadt geradezu für einen Sündenpfuhl hält. Masumeh erstreitet sich von Jahr zu Jahr den Schulbesuch neu, obwohl sie doch längst heiraten könnte. Aber ihre Zeugnisse sind soviel besser als die der Brüder, dass der Vater es erlaubt. Dafür muss sich sich viele Quälereien ihrer Brüder gefallen lassen. Sie findet eine „beste Freundin“, die bei ihr zu Hause aber nicht sehr erwünscht ist, da ihre Familie so ganz anders lebt und schließlich, mit 15 Jahren verliebt sich Masumeh in den Apothekergehilfen und Studenten Saeid.
Masumeh ist ein gläubiges Mädchen, aber wie der Roman es schildert, ist ihre Familie mehr von Traditionen geprägt als von der Religion und es zählt die Familienehre und was die Leute denken, nicht was der Islam verlangt. Sie hat nichts Schlimmeres angestellt, als Briefchen mit Saeid zu tauschen und kurze Worte zu wechseln, als ihre Brüder hinter diese Verliebtheit kommen und für Masumeh die Hölle losbricht. Ihr Bruder Ahmad, der selber eine ehebrecherische Beziehung unterhält, verletzt Saeid mit dem Messer, Masumeh wird bewußtlos geprügelt. Saeid, der durchaus ehrbare Absichten hatte, sich nur noch nicht in die „Höhle des Löwen“ getraut hatte, verlässt die Stadt. Und Masumeh, deren Brüder den Vater unter Druck setzen, soll schleunigst verheiratet werden. Mahmud, der älteste Bruder, schlägt einen sehr viel älteren und unsympathischen Metzger vor – aber die Nachbarin und Geliebte Ahmads, Parvaneh, vermittelt Hamid, einen jüngeren Mann, Jurastudenten, der in der Druckerei des Vaters arbeitet. Schließlich wird der für akzeptabel befunden und in aller Eile die Hochzeit gefeiert.
In der neuen ehelichen Wohnung angekommen, stellt Masumeh fest, dass Hamid auch mehr oder weniger gezwungen wurde zu heiraten. Er will im Grunde nur seine Ruhe haben, um seinen politischen, kommunistischen, Aktivitäten im Untergrund nachzugehen. Nun ist seine Familie beruhigt und drängt ihn nicht mehr, eine Familie zu gründen. Masumeh hat es auf der einen Seite gut getroffen, ist sie doch jetzt eine verheiratete Frau und ihre Familie hat keine Macht mehr über sie. Andererseits stellt sich heraus, dass sie sehr einsam sein wird, ist doch Hamid fast nie anwesend. Er zwingt sie zu nichts, aber sie nähern sich doch an und mögen sich. Aber obwohl sie seine ganze Bibliothek durchliest, einschließlich seiner juristischen Fachliteratur, nimmt er sie nicht wirklich ernst. Er will nicht, dass sie über seine politische Arbeit Bescheid weiß, um sie nicht zu gefährden, also erfährt sie davon nur wenig. Sie hat viele Freiheiten, aber wenn sie ihren Glauben praktiziert, ist ihm das sehr peinlich. Die führende Aktivistin seiner Gruppe weiß Masumeh mehr zu schätzen als ihr Mann. Immer wieder verschwindet Hamid für Wochen und lässt sie im Ungewissen und mit finanziellen Nöten zurück. Ihre Schulfreundin ist ins Ausland gegangen und zu ihrer Familie hat sie wenig Kontakt. Hamids Familie macht ihr Vorwürfe, dass sie ihn nicht halten könne. Als der erste Sohn geboren wird stirbt Masumeh beinahe, weil niemand da ist, ihr zu helfen. Als der zweite Sohn kommt, ist Hamid zornig, denn er will die Verantwortung nicht. Die Revolution geht vor. Selten gibt es Gemeinsamkeiten und schließlich geschieht auch das Schlimmste und Hamid wird verhaftet, gefoltert und bleibt Jahre im Gefängnis. Dabei hat er noch Glück gehabt, denn er Rest seiner Gruppe wird bei einem missglückten Anschlag getötet.
Masumeh muss sich durchschlagen und schafft das auch. Obwohl es schwierig ist als Frau eines politischen Gefangenen, findet sie Arbeit, versucht nebenher zu studieren und erzieht ihre Kinder alleine. Schließlich kommt Hamid frei und bald danach wird der Schah gestürzt. Aufbruchstimmung im Land, aber auch neue Konflikte und Enttäuschungen – und auch Terroranschläge. Schließlich wird Hamid erneut verhaftet und hingerichtet. Dann beginnt auch noch der Krieg gegen den Irak.
Neben ihren Existenz- und Alltagssorgen: sie verliert ihren Arbeitsplatz, der Krieg wirkt sich auf die wirtschaftliche Lage aus, muss Masumeh jetzt noch mehr um ihre Kinder kämpfen. Der Ältere, Siamak, ist zutiefst erschüttert und wütend über das was seinem Vater zugestoßen ist und schließt sich den Volksmudschaheddin an(eine Terrorgruppe mit einer pseudoreligiösen/kommunistischen Ideologie). Gerade noch kann sie ihn vor einer Gefängnisstrafe bewahren. Sie schafft es, dass er ins Ausland gehen kann, wo er zur Vernunft kommt. Der Jüngere, Masuud, verliert jedes Interesse an seinen künstlerischen Aktivitäten. Er geht sobald wie möglich an die Front, gerät in Gefangenschaft, kommt aber fast unversehrt zurück. Und Shirin, ihre Tochter soll studieren wie die Brüder.
Alles macht Masumeh möglich. Am Ende des Romans ist sie Anfang 50, allen geht es nach einigen Schwernissen gut. Mit der Familie herrscht Frieden, der Bruder Ahmad ist drogensüchtig gestorben, Mahmud als heuchlerischer Pseudofrommer hat sich etabliert, ebenso Ali. Masumeh lebt in geordneten Verhältnissen, die Kinder sind verheiratet, sie ist Großmutter. Da taucht ihr alte Schulfreundin Parvaneh zu einem ihrer seltenen Besuche auf und erzählt, dass sie Saeid getroffen hat….
Ich erzähle jetzt nicht den Ausgang der Geschichte, das wäre gemein. Denn bei allem Zeigeschehen ist es ja doch auch eine Liebesgeschichte.
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Ja, was soll ich dazu sagen: ich hab das Buch verschlungen, mich interessiert nun mal alles rund um Iran und eine Geschichte in Romanform, die aber die ganzen Geschehnisse der Revolution und danach umfasst, die kann ich nicht liegenlassen. Und das darf auch sehr gerne persönliche Geschichte umfassen, Liebe, Familie und was das Herz berührt.
Und ich war auch berührt und bin trotzdem enttäuscht. Der Erzählstil gefiel mir nicht so recht. Es muss nicht furchtbar blumig und verschnörkelt sein, wie man es vielleicht von den poetischen Iranern erwartet. Aber die handelnden Personen blieben zum größten Teil und die meiste Zeit irgendwie blutleer. Es ist mehr eine Schilderung des Ablaufs, als eine fesselnde Beschreibung der Persönlichkeiten und ihrer Entwicklung. Interessant war es trotzdem und natürlich fließen auch mal Tränen, bei diesen dramatischen Ereignissen. Aber selbst Masumeh habe ich nicht richtig kennen gelernt.
Klar, sie ist eine Kämpferin um ihre Rechte und um ihre Familie. Und sie verliert ihren Glauben nie. Und trotzdem: auch wenn sie in der Not, oder aus Dankbarkeit die heiligen Stätten aufsucht, von Fatima Masume a.s. in Qom, oder Imam Ridha a.s.in Mashad – was das für sie bedeutet, kam bei mir nicht an. Sicher ist sie gläubiger als ihr heuchlerischer Bruder, oder ihre tradtionsbesessene Mutter – aber ich spürte das nicht.
Ebensowenig vermittelte die Autorin mir die revolutionäre Aufbruchstimmung – das spielt sich irgendwie „draußen“ ab, außerhalb von Masumehs Wohnung in der sie festsitzt. Aber auch an ihrem Arbeitsplatz wird nicht recht klar, worum die Gesellschaft streitet.
Also es ist alles irgendwie blass. Vielleicht stört mich das, weil ich ja doch eher mit Leidenschaft für den Islam und auch für Iran streite.
In Iran war das Buch ein großer Erfolg, wenn es wohl auch Mühe gekostet hat, die Veröffentlichung umzusetzen. Natürlich kommt der Klappentext nicht ohne Hinweis darauf aus, dass „Nachdrucke immer wieder verhindert“ wurden. Ich hab mal ein bisschen gegoogelt: inzwischen ist dort die 21. Auflage erschienen. Da kann man nicht von Zensur sprechen. Ich glaube nicht, dass der Stil des Buches davon geprägt ist, dass die Autorin die Veröffentlichung möglich machen wollte. Vermutlich ist sie einfach keine tolle Schriftstellerin. Dass den Behörden vielleicht die Schilderungen von Drogensucht und außerehelichen Beziehungen nicht so gefallen haben kann ich mir vorstellen, aber es gibt sicherlich viel kritischere Romane in Iran. Hier wird die Islamische Republik weder gelobt, noch verdammt. Die Menschen leben eben dort und man erfährt, dass sie ganz normal leben, normal für ihre Kultur natürlich, die eine andere ist als unsere.
Parinoush Saniee
Was mir zusteht
Roman
Originaltitel: Quello che mi spetta
Aus dem Italienischen von Bettina Friedrich
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 480 Seiten, 13,5 x 21,5 cm
ISBN: 978-3-8135-0524-5
€ 19,99 [D] | € 20,60 [A] | CHF 28,50* (* empf. VK-Preis)
Rezension in der TAZ: http://www.taz.de/!119952/
Verlag: Knaus