Bismillahir rahmanir rahim
Die meisten unserer Politiker haben einfach Angst. Sie sind nicht bereit, auch nur einen Bruchteil der Gefahren auf sich zu nehmen, die sie unseren Soldaten täglich zumuten. Wir sollten wirklich alle Politiker die für Krieg eintreten vier Wochen in Kampfgebiete schicken. Zu Patrouillenfahrten. Ohne BKA-Schutz. Es würde keine Kriege mehr geben. (J.T.)
Wer in Deutschland für Frieden überall auf der Welt eintritt, der wird beschimpft, lächerlich gemacht und mit dem Tode bedroht. Jürgen Todenhöfer der wohl erste CDU-Politiker über den ich etwas Positives zu sagen habe (neben vielem anderen bewundere ich auch seine Wandlung vom „Falken“ zur „Taube“), muss diese Erfahrung machen, nachdem er sein Buch „Du sollst nicht töten“ herausgebracht hat.
Die mainstream-Medien beschreiben ihn häufig (gelegentlich lässt man ihn auch zu Worte kommen, einige links weiter unten) in einem süffisanten Ton als größenwahnsinnigen Besserwisser, der sich doch tatsächlich dem gängigen Kriegstreibertum widersetzt, ja gar den Anspruch hat, von der UN als Sonderbotschafter für Syrien eingesetzt zu werden. Noch widerlicher ist es, wenn er am Eingang seiner Stiftung einen professionell geknüpften Galgen vorfindet, oder Botschaften wie „Tod dem Höfer“ oder den Wunsch, es möge ihn endlich ein Talib in die Luft sprengen, wie er auf seiner Facebook-Seite berichtet. Es muss eine Menge Leute geben, die ein Mensch der konsequent für den Frieden eintritt rasend macht.
Ganz sicher lässt sich Jürgen Todenhöfer von so etwas nicht einschüchtern, nachdem er die Dinge erlebt hat, die er diesem neuesten Buch beschreibt. Eingerahmt werden die Berichte aus den Kriegs- und Revolutionsgebieten Libyen, Syrien, Afghanistan, Ägypten, Irak, Palästina, Iran und, ja auch Deutschland – von einem traumatischen Ereignis: im März 2011 ist Todenhöfer mit seinen Begleitern, seiner jungen Fotografin Julia, einem Mitfahrer namens Yussuf und seinem Freund, Gastgeber und Führer Abdul Latif in Libyen unterwegs. Sie wollen nach Brega, als sie unter stundenlangen Beschuss von Regierungstruppen geraten. Abdul Latif wird dabei getroffen und während die anderen stundenlang in den Dünen der libyschen Wüste in Deckung gehen und nicht wissen, ob sie lebend dort herauskommen, wissen sie nicht was mit diesem freundlichen Mann geschehen ist.
Abdul Latif ist tot – wie er genau gestorben ist, klärt sich erst viele Monate später, als Jürgen Todenhöfer noch einmal mit seiner Begleiterin an den Ort des Dramas zurückkehren kann und auch mit der Familie Abdul Latifs ausgiebig die Geschehnisse verarbeitet.
Wie es sich anfühlt, wenn man tatsächlich in eine solche Kriegssituation gerät, kann man sich nach der Lektüre dieser Geschehnisse ein bisschen besser vorstellen. Und ich möchte jetzt noch viel mehr als vorher allen denen die immer so „heldenhaft“ von deutschen Sofas oder Fernsehstudios aus für „humanitäre Bombardements“ eintreten empfehlen, sich genau solchen Situationen mal auszusetzen, bevor sie dafür plädieren, mit Waffengewalt mal eben die Probleme aus dem Weg zu räumen. Das tut auch Jürgen Todenhöfer.
Todenhöfer ist ein Kriegskind und als solches hat er die Zerstörung seiner Heimatstadt Hanau durch amerikanische Bomber erlebt. Schon damals hat er gefragt, ob man denn im Krieg Kinder töten dürfe. Als Student ging er den Berichten über den algerischen Widerstand nach und erlebte, wie grausam die französische Kolonialmacht den Aufstand bekämpfte. Das hat sein Interesse an der arabischen Welt geweckt, die ja unter den Folgen des Kolonialismus immer noch leidet. In Mosambik erlebt er sowohl die Auswirkungen des portugiesischen Kolonialismus, als auch die Grausamkeit der Rebellen gegen ihre eigenen Landsleute. Schon damals macht er sich in alle Richtungen unbeliebt, weil er keinen schont. Vielleicht sind seine Kindheitserlebnisse der Grund dafür, dass er sich so vehement für friedliche Lösungen von Konflikten einsetzt und dafür, das Leid vieler Betroffener zu mildern. Immer wieder fallen in seinem Buch Nebensätze zur Unterstützung die er einzelnen Personen oder Familien leistet. Was mich aber ganz besonders angerührt hat ist, dass er 30 Waisenkindern von Kunduz ein Zuhause gegeben hat. Es ist so beschämend, dass in Deutschland der Mörder von Kunduz, damals Oberst, jetzt General Klein, befördert wird, während es noch nicht einmal eine Entschuldigung an die Opfer dieses Angriffs auf Zivilpersonen gegeben hat. Der damalige Oberst Klein hat, wie Todenhöfer beschreibt, Bildmaterial vom späteren Tatort gehabt, sprich, er konnte sehen dass Kinder und erwachsene Dorfbewohner mit ihren Benzinkanistern die liegengebliebenen Tanklaster aufsuchten um Benzin zu ergattern. Er gab trotzdem den Befehl zum Angriff. Ausdrücklich befahl er den Piloten, die Menschen und nicht die LKWs zu treffen. Wie kann es sein, dass ein Massenmörder nicht bestraft wird? In diesem Buch kommen die Hinterbliebenen von Kunduz zu Wort. Zum Beispiel der damals achtunddreißigjährige Bauer Abdul Hannan. Er schlief in jener Nacht so fest, dass er die Rufe der Nachbarn: „Freibenzin“ nicht hörte. Seine Frau wollte den hart arbeitenden Mann nicht wecken und schickte darum ihre beiden Söhne und den Neffen der zu Besuch war, Benzin zu holen. Abdul Hannan berichtet:
Meine Frau wollte mich nicht wecken, weil ich immer früh raus muss. Also hat sie vorsichtig die Kinder wachgerüttelt und ihnen gesagt, sie sollten wie die anderen Freibenzin holen. Die Tanklastwagen waren ganz nahe von uns im Fluss stecken geblieben. Die Jungs sind mit ihren Behältern losgerannt. Am Fluss standen viele Menschen, alle mit Behältern in der Hand. Meine Kinder mussten sich hinten anstellen, weil sie so klein waren. Dann wurden die Bomben abgeworfen.
Morgens um fünf bin ich zum Fluss gegangen und habe die Kinder abgeholt. Nur ihre Rümpfe waren übrig geblieben. Die Gliedmaßen fehlten. Ich habe sie in einem Sammelgrab im Dorf beerdigt. Mein Schmerz ist unerträglich. Auch heute noch. Die Deutschen haben mir 5000 Dollar gegeben. Für drei Kinder. Wenn sie wollen, können sie das Geld wiederhaben.
Um 3:13 Uhr in jener Nacht meldete das „Wiederaufbauteam“ (!!!) Kunduz seinem Regionalkommando man habe 54 Aufständische getötet. Verluste unter Zivilisten habe es keine gegeben.
Todenhöfer gibt den Opfern des westlichen „Kriegs gegen den Terror“ ein Gesicht und eine seiner großen Stärken ist, dass er auf alle Leute zugeht – ob es sich nun um Staatspräsidenten wie Karsai oder Assad handelt, oder um Rebellen oder um Soldaten oder Mitarbeiter und Anhänger von meist geschmähten Staatschefs.
Er schaut sehr genau hin in den Ländern der „Arabellion“. Und wenn es ihn manchmal ein wenig mitreißt im Taumel des Freiheitskampfes, dann scheut er sich aber auch nicht, die Schattenseiten zu zeigen, „Massaker Marketing“ syrischer Rebellen und der Auslandsoppositon, hier besonders die berüchtigte „Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte“ in England, gewalttätige libysche Sieger die einen Mann wegen seiner guten Kleidung misshandeln, das Morden an syrischen Zivilisten verübt von „Rebellen“. Oder wenn er sehr genau beobachtet, wie in Syrien schon ganz zu Anfang der Proteste ausländische Medien wie Al Dschasira Einfluss nehmen und die sogenannten Revolutionäre ihre Berichte so aufbereiten, dass sie möglichst gut wegkommen, während wundersamerweise auch die Bewaffnung dieser Leute ganz frühzeitig beginnt. Wozu das geführt hat, wissen wir: was als berechtigter Protest einer Minderheit der syrischen Bevölkerung begonnen hat, wurde mit Hilfe von „Agents Provocateurs“ (Scharfschützen die auf alles schossen was sich bewegte), einer haarsträubenden Desinformationspolitik die Todenhöfer beschreibt, über die massive Bewaffnung und „islamistische“ Unterstützung aus dem Ausland zu der großen syrischen Katastrophe vor der wir jetzt mit Entsetzen stehen.
Ich vermute dass die Feindseligkeit die Todenhöfer wegen seiner Versuche die syrische Situation objektiv zu beleuchten und wegen seiner ausführlichen Gespräche die er mit Präsident Assad führte, wohl die größte in seiner Laufbahn ist. Er beschreibt ausführlich, auf welchen seltsamen Wegen er dazu kam, zum Präsidenten vorgelassen zu werden, seine Gespräche mit und seinen Eindruck von ihm und seine Bemühungen für eine friedliche Lösung. Dazu nutzt er seine langjährigen politischen Kontakte, aber wie wir wissen, ist das Interesse an einem Frieden in Syrien im Westen nicht groß. Auch Todenhöfer sagt, dass hier ein Stellvertreterkrieg gegen Iran im Gang ist.
Dass Todenhöfer die deutsche Politik für ihre Zurückhaltung lobt, kann ich nicht nachvollziehen. Sicher sind „wir“ nicht die ersten, die nach Bombardements schreien, haben wir auch im Fall von Libyen nicht getan. Allerdings sind wir als NATO-Mitglied immer beteiligt, stehen unsere Patriots in der Türkei, gewähren wir womöglich Start- oder Überflugrechte für US-Bomber, spionieren unsere Schiffe im Mittelmeer für die USA und Israel und nicht zuletzt stammen die Zutaten für das Giftgas das jetzt von der einen oder anderen Seite in Syrien eingesetzt wurde aus deutscher Produktion (dass ich es für unwahrscheinlich halte, dass Assad das eingesetzt haben soll ist bekannt. Wäre auch sinnlos.).
Apropos Iran: diesem Land ist ein weiteres Kapitel des Buches gewidmet. Jürgen Todenhöfer ist kein Fan des iranischen (jetzt Ex-) Präsidenten Ahmadinejad, dessen Rhetorik er verurteilt, aber er wehrt sich gegen die Dämonisierung des Landes und weist auf dessen Rechte hin, besonders was das Nuklearprogramm angeht. Wie die Dämonisierung eines auserwählten Feindes zur Kriegsvorbereitung dient, das beschreibt er auch noch an anderer Stelle ausführlich, im Kapitel zur „Droge Krieg“. Aber zurück zu Iran: auch hier beschreibt er die unterschiedlichsten Begegnungen, mit Geistlichen, mit der Witwe eines ermordeten Atomwissenschaftlers, mit jüdischen Bürgern – und seinen Vortrag vor Studenten einer elitären Diplomatenschule, deren Höflichkeit er mit heftiger Kritik an der offiziellen Haltung zum Holocaust und zum Existenzrecht Israels er auf die Probe gestellt hat. Mit Erfolg – denn anders als es Präsident Ahmadinejad in den USA erging, ließen die Studenten ihn ausreden. Bei aller Kritik die er an iranischer Politik übt, wehrt er sich dagegen, dass das Land verteufelt wird. Seinen politischen Einfluss macht er mehrfach geltend und versucht nachzuhelfen, dass es Gespräche zwischen Iran und den USA geben kann. Erfolglos, was mich nicht wundert. Allerdings scheint er mitgeholfen zu haben, dass die beiden inhaftierten „BILD“-Reporter freikamen.
Dass Todenhöfer allerdings die iranischen bürgerlichen Freiheiten daran bemisst, wie sehr die Kopftücher der jungen Frauen verrutscht sind, wie lebhaft diese flirten und wie vergnügt „Party gemacht“ wird, das begeistert mich nicht. Er hätte sicherlich auch gläubige junge Menschen finden können, die so gar nicht unterdrückt sind.
Die Berichte aus den genannten und anderen Ländern sind jeweils ganz persönliche über ganz unterschiedliche Begegnungen- Interviews mit Präsidenten, Kämpfern und Gefangenen und Erlebnisse – Besuche bei Hinterbliebenen, Aktivisten, Botschaftern, Geheimdienstlern usw. Diese Berichte werden ergänzt durch Überlegungen und Erläuterungen zur Entstehung von Kriegen, zur Propaganda, zur Frage ob es „gerechte Kriege“ gibt, zu dem was Kriege mit den Beteiligten machen (dazu gibt es auch einige erschreckende Berichte zu Persönlichkeitsveränderungen von Kämpfern verschiedener Seiten). Dazu kommt, was er in den Zeiten die er nicht auf Reisen verbracht hat zu Hause nachrecherchiert und überprüft, sowie Berichte darüber, wie er seine unzähligen Kontakte nutzt, um Einfluss zu nehmen oder Gespräche zu führen (ganz sicher erfahren wir höchstens 10% von dem, was da so vor sich geht).
Das Buch ist sehr umfangreich und der Artikel wird zu lang, wenn ich noch viele Beispiele bringe, Ihr müsst es selber lesen – es ist absolut empfehlenswert. Es ist erschreckend, informativ, anrührend und manchmal auch zum Lächeln. Mich haben die vielen kleinen Begebenheiten sehr beeindruckt und die Art wie Jürgen Todenhöfer auf Menschen zugeht und bereit ist, sich alle Seiten anzuhören. Sein Fazit über die Rechtfertigung von Kriegen kann ich absolut teilen.
Krieg ist nur dann als eine Art übergesetzlicher Notstand „vertretbar“, wenn sechs Bedingungen erfüllt sind:
- Es liegt ein echter Verteidigungsfall vor.
- Alle politischen und diplomatischen Lösungen sind ernsthaft ausgeschöpft.
- Eine Abwägung der Rechtsgüter ergibt: Angesichts der gigantischen, epochalen Dimension der drohenden Katastrophe, bleibt kein anderer Ausweg als ausnahmsweise auch den Tod von Zivilisten, Frauen und Kindern in Kauf zu nehmen.
- Bei entsprechenden Katastrophen im eigenen Land würden wir der Polizei gegenüber unseren Landsleuten die gleichen Maßnahmen gestatten.
- Alle Notwehrexzesse werden vermieden. Es werden nur militärische Ziele angegriffen.
- Die Kriegsentscheider sind angesichts der Dramatik der drohenden Katastrophe alle bereit an vorderster Front mitzukämpfen oder eigene Kinder an die Front zu schicken. Ausnahmen von dieser Beteiligungspflicht gibt es nicht.
Und zuletzt muss ich noch meinen Respekt vor einem Menschen äußern, der sich bei allen diesen Erlebnissen und dem was er aus seiner politischen Arbeit mitgenommen hat, den Glauben an die Fähigkeit der Menschheit, ihre Konflikte auf andere Art zu lösen bewahrt hat.
Auf seiner Facebook-Seite gibt es Videos in denen er Passagen aus dem Buch liest.
Im Moment ist er viel unterwegs um das Buch vorzustellen, u.a. auch in der kommenden Woche, Termine vom 24.-26.9.:
– München: Dienstag, 16 –17 Uhr in der Pappenheimerstr. 13-14
– Berlin: Mittwoch, 16-17 Uhr in der Prinzenstr. 35
– Köln: Donnerstag, 16-17 Uhr in der Friedrich-Karlstraße – gegenüber der Einfahrt zum DuMont Verlag.
Aus den Medien:
Interview mit Bashar al Assad in der ARD Teil 1