Bismillah
Ich gebe zu, dass ich wenig gebloggt habe in den letzten Wochen – bei uns war einfach zu viel los, Besuche, Krankenhausaufenthalt, Mini-Job haben viel Zeit in Anspruch genommen. Leider kann ich auch nicht wirklich versprechen, dass sich das ganz bald ändert, aber diesen Artikel will ich schon länger schreiben, kam aber nicht dazu.
Der Artikel im „Spiegel“ auf den ich mich beziehe, ist dann auch nicht mehr ganz aktuell und beschreibt u.a. das „Weihnachtsshopping“ Aber die grundsätzlichen Erkenntniss sind nicht zeitabhängig. Also es geht um die Rolle, die der Konsum heutzutage einnimmt und was die Hirnforschung dazu herausgefunden hat. In der Ausgabe vom 13.12.2010 – gefunden beim Warten in einer Krankenhausambulanz – da sitzt man ja immer Stunden:
Weltreligion Shoppen
Von Müller, Martin U. und Tuma, Thomas
Der private Konsum wächst weltweit und soll aus der Krise helfen. Umso akribischer wird nach den letzten Geheimnissen der Kaufentscheidungen gefahndet. Wo im Kopf ist der Das-will-ich-Knopf? Dort, wo auch der Glaube zu Hause ist.
N.N. ist anspruchslos, wenn es um die Suche nach ihrem persönlichen Glück geht. Man muss ihr kein ewiges Leben versprechen oder göttliche Erleuchtung. Ein paar neue Pumps reichen völlig.
„Bei einem Superschnäppchen hält mein Seligkeitszustand drei Tage an“, sagt sie. N.N. ist 27 Jahre alt, Juristin und zu klug, um bei der Frage nach ihren Hobbys Ausflüchte zu stammeln von wegen Lesen und Joggen. Sie nutzt ihre Freizeit auch zum Shoppen.
Gerade kommt sie aus Stockholm, wo sie noch am Flughafen zu Dior-Kosmetik griff, obwohl sie sich nur selten schminkt: „Irgendwas musste ich ja kaufen. Die Bücher waren alle auf Schwedisch.“ Davor war sie dieses Jahr schon in Bangalore, New York und Rom. Nicht nur der Sehenswürdigkeiten wegen, „sondern weil das Preis-Leistungs-Verhältnis im Ausland gefühlt besser ist“.
N.N. mag mit ihrer Passion extrem sein. Allein ist sie damit nicht. Shoppen ist die liebste Freizeitbeschäftigung von Abermillionen geworden, mehr noch: Shoppen ist allgegenwärtige Metaphysik auf Kleiderstangen, Gott in Einkaufstüten. ( weiter bei: “ Der Spiegel“ http://www. spiegel.de/spiegel/print/d-75638315.html)
Der Artikel beschreibt dazu noch die Erkenntnisse der Neurologie in diesem Zusammenhang und stellt fest, dass der Konsum verschiedene Hirnareale beeinflusst (Grafiken) in denen Gefühlsbereiche wie soziales Prestige, Sammelleidenschaft, Abwehr von Ängsten und geheime Wünsche berührt werden.
Das Ausmaß des persönlichen Wohlstands spielt nachdem die Grundbedürfnisse befriedigt sind, keine Rolle mehr – nur die Preisklasse der Waren unterscheidet sich, der Konsumwunsch ist milieuübergreifend und international. Das muss auch so sein, denn ohne Konsumenten bricht das kapitalistische System weg – so motivieren Politiker zum Einkaufen, sei es in den USA, in Deutschland oder in China.
Warum ist es aber so leicht, uns zu verführen? Der Kapitalismus macht sich zunutze, was die Hirnforscher herausgefunden haben: erfolgreiche Produkte befeuern die Hirnareale, dich auch für religiöse Gefühle zuständig sind.
Der Spiegel dazu:
Der dänische Markenberater Martin Lindstrom hat Interviews mit Vertretern aller großen Weltreligionen geführt. Er wollte von ihnen wissen, auf welchen Säulen ihr jeweiliges Glaubensbekenntnis ruht – und identifizierte am Ende rund zehn allgemeingültige Grundpfeiler. Dazu zählen: Symbole, Geheimnisse, eine Vision, tradierte Geschichten, durchaus auch klar umrissene Gegner und Rituale, aber auch die Kultivierung einer eingeschworenen Gemeinschaft.
Es sind Punkte, „die dem Kern einer Konsummarke extrem ähnlich sind“, sagt Lindstrom. Große Marken pflegen ihre Gründermythen wie ihre Geheimnisse. Man denke nur an das Ur-Rezept von Coca-Cola oder die Hinterhoffirmen-Gründerlegenden von Microsoft & Co. Ihre Symbole verheißen ganze Welten: die Muschel von Shell wie der Apfel von Apple oder Googles bunte Buchstaben. Der Flagship-Store von Prada in New York ist weniger Geschäft als Sakralbau, der Mode zudem wie Reliquien präsentiert.
Und je stärker eine Marke, umso intensiver aktiviert sie laut Lindstrom dann im Kopf seiner Probanden auch jene Areale, die beim Anblick religiöser Bilder stimuliert wurden.
Konsum ist fast schon eine Weltreligion geworden. Der – man kann sagen – „Shoppismus“ liefert für jeden Geschmack und jeden Lebensentwurf die adäquaten Altäre und Heiligtümer. Er eint, er verspricht schnelle und schlichte Belohnungen. Und letztlich schafft er sogar Identität: Bin ich Mercedes oder BMW, Aldi oder Lidl, Gucci oder Prada, Puma oder Adidas, Tchibo oder Starbucks, Zegna oder Hugo Boss?
Nicht, dass wir es nicht schon geahnt hätten – aber ist es nicht erschreckend, wie leicht wir zu beeinflussen sind? Der Marketing-Profi Lindstrom der die Gehirne von 2000 Probanden aus 5 Ländern untersuchen ließ, fand dabei viel Interessantes heraus – u.a. dass die Warnhinweise auf Zigarettenschachteln bei Rauchern sofort das Bedürfnis nach einer Zigarette auslösen – und predigt jetzt weltweit die Lehre von der perfekten Manipulation.
Ganz schlimm finde ich, dass Kinder schon ganz früh mit Werbung attackiert werden – manche Kinderserie im TV ist ja im Grunde nichts als Werbung für Spielzeug. So ist der Markenwahn schon bei den Jüngsten ganz ausgeprägt und denen kann man nicht mit Vernunft kommen. Das Fazit dass der Spiege-Artikel zieht, ist dann aber nicht so negativ: auch Dinge schaffen eine Ordnung und ein Beziehungssystem, so dass damit Ur-Bedürfnisse befriedigt werden, die von Menschen oder Religion nicht mehr ausgefüllt sind.
Mir fällt dazu natürlich anderes ein: einmal, dass die Atheisten bei solchen Forschungsergebnissen natürlich freudig aufschreien, „siehste Gott ist also auch nur eine Gehirnreizung“ – für Gläubige die allerdings sicher wissen, dass es einen allmächtigen Gott gibt, stellen sich andere Fragen: was ist da am Werk, das uns vorgaukelt, dass Konsum uns erfüllt? Das unsere Zeit raubt, das uns hochmütig macht ( „wie billig die doch angezogen ist“), das Neid auslöst, das Kriege fördert (irgendwoher müssen die Rohstoffe ja kommen), das uns gleichgültig gegenüber unseren Mitmenschen macht und von dem wir nicht merken, wie es uns mit seinem vorgetäuschtem Wert die wirklichen Werte vergessen lässt?
Gläubige Menschen, die sich damit beschäftigen, werden wissen, welche Kraft da Einfluss nimmt und was der Zweck ist: uns von dem Wichtigsten abzulenken, dem Grund aus dem wir auf der Welt sind: um uns so weit wie möglich zu entwickeln um Gott näher zu kommen, um unsere schlechten Eigenschaften abzulegen, um unsere Mitmenschen zu lieben und Mitgefühl zu haben, um unsere Kinder zu starken Charakteren zu erziehen, um unsere Abhängigkeit von Gott zu sehen und anzuerkennen – eine gute Abhängigkeit, denn wir bekommen alles was wir haben von IHM zur Verfügung gestellt – und uns von jeder anderen Abhängigkeit zu befreien.
Das ist aber keine Entschuldigung dafür, den Dingen anzuhängen – egal wie gerne wir ein Ding haben: macht es uns auf Dauer glücklich? Wird es uns für immer erhalten bleiben? Werden wir es in unser nächstes Leben mitnehmen können? Die Propheten, Friede sei mit ihnen, haben uns nicht beigebracht, irdische Güter zu erwerben – ist es nicht eher eine Eigenheit der nicht monotheistischen Religionen, Verstorbenen persönliche Dinge mitzugeben (so wie im alten Ägypten) für das Leben nach dem Tod?
Dinge werden uns da nicht nützen – wohl aber die guten Taten, die wir begangen haben. Ebenso wie unsere schlechten Taten von Nachteil für uns sein werden. Und die Seligkeit wird länger als die nach einem Schuhkauf anhalten.
Gläubige Menschen müssen nicht asketisch leben. Natürlich darf man sich an schönen Dingen, gutem Essen und angenehmer Atmosphäre erfreuen – solange man weiß, welche Versuchung darin steckt. Wenn man in einen Kaufrausch verfällt, ist in jedem Fall das Gehirn – oder die Seele – aus den falschen Gründen entzückt. Und die notleidenden Mitmenschen darf man nicht vergessen. Im Islam ist man ja verpflichtet, von erwirtschafteten Überschüssen abzugeben als „Steuer“ – und man wird immer wieder aufgefordert, Bedürftigen zu helfen. Das ist im Christen- und Judentum wohl nicht anders.
Von einem wie eine Kathedrale gestalteten Einkaufszentrum soll man sich nicht abhalten lassen, zum Gottesdienst in die Moschee, Kirche oder Synagoge zu gehen. Immer im Bewußtsein, dass diese irdische Zeit nur begrenzt ist und dass uns als Belohnung für gute Taten mehr Glück erwartet, als wir auf der Erde je erleben können.
Imam Ali, a.s., der viele Predigten über das Diesseits und das Jenseits gehalten hat, sagt:
„Wenn du deine Religion deinem Diesseits unterordnest werden sowohl deine Religion als auch dein Diesseits der Vernichtung anheimfallen und im Jenseits wirst du unter den Verlierenden sein.Wenn du dein Diesseits deiner Religion unterordnest, hast du (damit) sowohl deine Religion als auch dein Diesseits errungen und im Jenseits wirst du unter den Gewinnern sein“ Quelle
Und ist es nicht so, dass man auch mehr Freude an den schönen irdischen Dingen hat, wenn man sie in Dankbarkeit von Gott annimmt und nicht einen Markenerfinder zu seinem Gott macht?
Und eine wunderschöne Überlieferung ist die von Jesus, a.s., die ich schon lange auf meiner Startseite stehen habe:
„Meine Diener sind meine beiden Hände und mein Lasttier sind meine beiden Füße, mein Bett ist die Erde und mein Kissen ist der Stein. Meine Wärme im Winter sind die Osten (Sonnenaufgänge) der Erde, und mein Licht in der Nacht ist der Mond, und mein Zusatz ist der Hunger und meine Losung ist die Furcht und meine Kleidung ist Wolle und meine Früchte und Kräuter sind, was die Erde für die Tiere und für das Vieh herausgebracht hat. Ich übernachte und besitze nichts und wache (morgens) auf und besitze nichts, und niemand auf der Erde ist reicher als ich“
„Shoppismus“ kann man also wohl getrost unter Götzenanbetung (Shirk) einsortieren. Und wenn das „Haben wollen“ zu mächtig wird, dann sollten unsere Alarmglocken heftig läuten. Freiheit und Konsumrausch gehen nicht zusammen.