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Mein Monat Ramadan: Tag 25

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Mein Monat Ramadan: Tag 25

Bismillahir rahmanir rahim

Es gibt Tage da stimmt alles…heute morgen flutschte es im neuen Mini-Job, eine mir bisher feindlich gesonnene Person zeigte sich auf einmal freundlich, zu Hause Kaffee- und Teetrinken mit meinem Mann, dann aufs neue Fahrrad geschwungen und durch die Landschaft geradelt und schließlich zu Hause ein sehr leckeres Abendessen aus verschiedenen gebackenen Gemüsesorten. Und nun türkischer Tee, Bloggen und gleich inschaAllah noch eine Runde im Qur´an lesen und Abendgebet. Das nenne ich einen erüllten und „runden“ Tag.

10555400_10202382211145327_794153817_oDorfmoschee in Inhausen, 🙂

Vielleicht lief es gut, weil ich mich heute sehr darin geübt habe, viel Allahs zu gedenken. Und weil ich dankbar war. Dankbar sein vermehrt den Segen. In der Sure Ibrahim heißt es:

„Und (damals) als euer Herr ankündigte: Wenn ihr dankbar seid, werde ich euch noch mehr (Gnade) erweisen. Wenn ihr aber undankbar seid (werdet ihr es büßen müssen). Meine Strafe ist schwer.“ (14: 7)

„Und Moses sagte: ,Wenn ihr undankbar seid, ihr und alle, die auf der Erde sind (tut das Gott keinen Abbruch): Gott ist auf niemand angewiesen und des Lobes würdig.`“ (14: 8)

Einen Tafsir dazu gibt es hier. Ein Auszug:

Natürlich gibt es verschiedene Stufen der Dankbarkeit gegenüber Gott. Eine Stufe des Dankens ist der gesprochene Dank; durch Gebete und durch Gott-Eingedenksein. Manchmal besteht Dankbarkeit aus einer Tat, zum Beispiel einer Spende an Bedürftige und dem Einsatz der von Gott zur Verfügung gestellten Möglichkeiten auf dem Gott wohlgefälligem Wege. Zum Beispiel ist es ein praktizierter Dank, wenn der Mensch den Segen der Sehkraft dafür einsetzt, sich Wissen anzueignen, natürlich vorausgesetzt, dass er damit beabsichtigt, sein Wissen in den Dienst der Geschöpfe Gottes zu stellen und keine schlechten Absichten hegt und nach unerlaubten Vorteilen strebt. Alleine schon wenn der Mensch sein Wissen und seinen Reichtum als Segen Gottes betrachtet, ist dies eine Art Dankbarkeit gegenüber Gott. Auch hat er sich Gott gegenüber dankbar erwiesen, wenn er dessen Segensgaben nicht auf einem unrechtmäßigen Weg einsetzt.

In den Überlieferungen steht, dass Gott dem Propheten Moses anwies, er sollte ihm so danken, wie es sich gebührt. Da sagte Moses: “ O Gott, das vermag ich nicht, denn jeder Dank, den ich zeige, erfordert einen neuen Dank.“ Da erreichte ihn die Antwort: „Das du zugegeben hast, dass du weißt – alles was du besitzt, kommt von mir, ist der beste Dank.“

Wir lernen aus der Koranstelle 14: 7 und 8 unter anderem

zwei Dinge:

Erstens: Es ist Gottes Tradition und Gesetz, dass Dank zur Vermehrung des Segens und Undankbarkeit zur Herabsendung von Strafe führt.

Zweitens: Gott ist nicht auf unseren Dank angewiesen. Aber der Geist der Dankbarkeit ist für unser moralisches Weiterkommen gut und verursacht, dass wir weiteren Segen erhalten.

 

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InshaAllah ist Gott heute mit mir zufrieden. Ich bin es mit meinem Leben heute rundum. Alhamdulillah, ich danke Gott für all diesen Segen und ich bitte IHN darum, dass er all den Menschen Erleichterung verschafft die  heute leiden müssen.

Mein Monat Ramadan: drei Tage weiter…

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Mein Monat Ramadan: drei Tage weiter…

Bismillahir rahmanir rahim

 

…und schon ist der 24. Ramadan fast vorbei. Ich komm irgendwie gar nicht mit. Wie schön wäre es, die letzten 10 Tage in spiritueller Zurückgezogenheit in einer Moschee zu verbringen. Statt dessen rast die Zeit und ich hab das Gefühl, dass ich gar nichts davon habe. Aber das ist mit Sicherheit ein Irrtum. Denn z.B. hatte ich am Sonntag einen spontanen Ausflug nach Österreich. Das war kein Vergnügungsausflug, sondern hatte mit unserem Nebenjob zu tun, dem kleinen Kurierdienst. Verlorengegangene Koffer zu ihren Besitzern bringen und das in so eine tolle Gegend.

10569750_10202371163389140_2046855109_oUnd wir setzten festgegründete Berge auf die Erde, damit sie nicht mit ihnen wanke

(Sure al Anbiyah, Vers 31)

Um das Thema, ob die Berge „Wurzeln“ haben und ob sie der Stabilisierung der Erdoberfläche dienen, gibt es eine ziemliche Diskussion zwischen Muslimen und denen, die die muslimische Auslegung dazu widerlegen wollen. Ich bin da nicht gebildet genug, hier ist die muslimische Variante: Die Aufgabe der Berge im Koran.

Diese Schöpfung ist jedenfalls sehr beeindruckend und ich werde immer ganz still angesichts dieser Wunder.

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Übrigens soll ja Zell am See ganz in arabischer Hand sein, aber diese Touristen waren wohl wegen des Monats Ramadan nach Hause gereist, wir haben keine gesehen. Aber Urlaub dort wäre für uns unerschwinglich, wie schön, dass wir wenigstens einen bezahlten Ausflug hatten. Da war auch noch ein Palatschinken drin (auf Reisen darf man nicht fasten, 🙂 )

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Ja, das war also ein Gottesgeschenk und dieser Tag ist nicht in Undankbarkeit verstrichen.

Wenn er dann seine Vollreife erlangt hat und das Alter von vierzig Jahren erreicht hat, sagt er: „Mein Herr, veranlasse mich, für Deine Gunst zu danken, die Du mir und meinen Eltern erwiesen hast, und rechtschaffen zu handeln, womit Du zufrieden bist. Und gib mir Rechtschaffenheit in meiner Nachkommenschaft. Ich wende mich Dir ja in Reue zu, und ich gehöre ja zu den (Dir) Ergebenen.“ (Auszug aus der Sure 46, Vers 15)

Denn was ich am Anfang geschildert habe, dieses Verstreichen von Zeit ohne Bewusstsein, das ist undankbar. Und ich versuche, mich zu bessern und jede alltägliche Handlung mit dem Gedenken an Gott zu verbinden. Es gelingt mir mal mehr, mal weniger gut, aber in diesem Monat eher mehr, alhamdulillah.

Für heute muss das reichen, auch wenn mich natürlich die schrecklichen Geschehnisse in Gaza erschüttern. Bitte betet alle, dass dieses Gemetzel endlich aufhört. Möge Allah die herzlosen Mörder verfluchen. Und diejenigen, die das rechtfertigen. Wozu auch unsere Regierungschefin gehört. Nicht in meinem Namen Frau Merkel, sie forderten „angemessene Selbstverteidigung“ Israels. Angemessen? Ein Volk in einem Freiluftgefängnis überfallen, von oben, vom Meer, vom Boden? Niemand kann dort weg.

Und ich bin nicht antisemitisch. Allerdings: wenn die Zionisten sich mit den Juden gleich setzen, dann dürfen sie sich nicht wundern, wenn Proteste gegen Israel antijüdisch klingen. Da gibt es nämlich (wie ich finde leider) auch unter den Gegnern der Zionisten viele die diesen Unterschied nicht machen.

10565117_10154389342345594_6492808830672979340_nAber gut, ich wollte Schluss machen für heute! Einge gesegnete Nacht und vergesst die Unterdrückten nicht in Euren Dua.

Mein Monat Ramadan: Tag 17 und 18

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Bismillahir rahmanir rahim

Allerlei alltägliche und weniger alltägliche Dinge waren zu erledigen, gestern und heute. Und ich habe das schöne Wetter genutzt und bin mein neues Fahrrad, ich nenne es ein Renntner-Rad, ausgiebig probegefahren. Das ist nämlich gestern gekommen nach langer Wartezeit. Alhamdulillah, so ein tolles Radl um mich wieder sportlicher zu bekommen.

Aber leider war ich nicht sehr konzentriert was das Qur´anlesen angeht und will mich heute noch ausgiebig daran setzen.

Da ich nicht viel zu berichten habe, findet Ihr vielleicht hier einen Ersatz:

Sulis Ramadan Videoblog

Eine junge uigurischstämmige Muslima will ihre Religion im Fastenmonat wiederentdecken.

Ich hab den Tipp erst kürzlich bekommen und den Blog selber noch nicht angesehen, aber einen Ausschnitt eines Radio-Interviews mit ihr gehört.

Wer es gehaltvoller will schaut hier:

Buchbesprechung: „Was mir zusteht“ von Parinoush Saniee

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Buchbesprechung: „Was mir zusteht“ von Parinoush Saniee

Bismillahir rahmanir rahim

Dieses Buch ist mir in der Bibliothek begegnet und natürlich gleich in meinen Korb gewandert. Schließlich findet man nicht so viel moderne Literatur aus Iran bei uns – und wenn, dann ist es explizit „regime“kritisch. Aber das schien mir hier nicht der Fall zu sein: die Geschichte einer Frau, aufgewachsen in der Schah-Zeit, erwachsen geworden in der Revolution, Ehefrau und Mutter in der Islamischen Republik.

Masumeh ist die zunächst einzige überlebende Tochter ihrer Familie (später bekommt sie noch eine kleine Schwester)  und hat drei Brüder, zwei ältere, einen jüngeren. Ihre Familie ist patriarchalisch geprägt und Mädchen zählen nicht viel, nicht bei den Brüdern, nicht bei der Mutter und auch wenn der Vater sie liebt, kann er das kaum zeigen. Ihn plagt das schlechte Gewissen, weil man Masumehs Schwester sterben ließ und keinen Arzt holte, als sie krank war – Mädchen passiert schon nichts.

Zunächst wächst Masumeh in der heiligen Stadt Qom auf. Dann zieht die Familie nach Teheran, trotz der Bedenken der frommen Verwandtschaft, die die Großstadt geradezu für einen Sündenpfuhl hält. Masumeh erstreitet sich von Jahr zu Jahr den Schulbesuch neu, obwohl sie doch längst heiraten könnte. Aber ihre Zeugnisse sind soviel besser als die der Brüder, dass der Vater es erlaubt. Dafür muss sich sich viele Quälereien ihrer Brüder gefallen lassen. Sie findet eine „beste Freundin“, die bei ihr zu Hause aber nicht sehr erwünscht ist, da ihre Familie so ganz anders lebt und schließlich, mit 15 Jahren verliebt sich Masumeh in den Apothekergehilfen und Studenten Saeid.

Masumeh ist ein gläubiges Mädchen, aber wie der Roman es schildert, ist ihre Familie mehr von Traditionen geprägt als von der Religion und es zählt die Familienehre und was die Leute denken, nicht was der Islam verlangt. Sie hat nichts Schlimmeres angestellt, als Briefchen mit Saeid zu tauschen und kurze Worte zu wechseln, als ihre Brüder hinter diese Verliebtheit kommen und für Masumeh die Hölle losbricht. Ihr Bruder Ahmad, der selber eine ehebrecherische Beziehung unterhält, verletzt Saeid mit dem Messer, Masumeh wird bewußtlos geprügelt. Saeid, der durchaus ehrbare Absichten hatte, sich nur noch nicht in die „Höhle des Löwen“ getraut hatte, verlässt die Stadt. Und Masumeh, deren Brüder den Vater unter Druck setzen, soll schleunigst verheiratet werden. Mahmud, der älteste Bruder, schlägt einen sehr viel älteren und unsympathischen Metzger vor – aber die Nachbarin und Geliebte Ahmads, Parvaneh, vermittelt Hamid, einen jüngeren Mann, Jurastudenten,  der in der Druckerei des Vaters arbeitet. Schließlich wird der für akzeptabel befunden und in aller Eile die Hochzeit gefeiert.

In der neuen ehelichen Wohnung angekommen, stellt Masumeh fest, dass Hamid auch mehr oder weniger gezwungen wurde zu heiraten. Er will im Grunde nur seine Ruhe haben, um seinen politischen, kommunistischen,  Aktivitäten im Untergrund nachzugehen. Nun ist seine Familie beruhigt und drängt ihn nicht mehr, eine Familie zu gründen. Masumeh hat es auf der einen Seite gut getroffen, ist sie doch jetzt eine verheiratete Frau und ihre Familie hat keine Macht mehr über sie. Andererseits stellt sich heraus, dass sie sehr einsam sein wird, ist doch Hamid fast nie anwesend. Er zwingt sie zu nichts, aber sie nähern sich doch an und mögen sich. Aber obwohl sie seine ganze Bibliothek durchliest, einschließlich seiner juristischen Fachliteratur, nimmt er sie nicht wirklich ernst. Er will nicht, dass sie über seine politische Arbeit Bescheid weiß, um sie nicht zu gefährden, also erfährt sie davon nur wenig. Sie hat viele Freiheiten, aber wenn sie ihren Glauben praktiziert, ist ihm das sehr peinlich. Die führende Aktivistin seiner Gruppe weiß Masumeh mehr zu schätzen als ihr Mann. Immer wieder verschwindet Hamid für Wochen und lässt sie im Ungewissen und mit finanziellen Nöten zurück. Ihre Schulfreundin ist ins Ausland gegangen und zu ihrer Familie hat sie wenig Kontakt. Hamids Familie macht ihr Vorwürfe, dass sie ihn nicht halten könne. Als der erste Sohn geboren wird stirbt Masumeh beinahe, weil niemand da ist, ihr zu helfen. Als der zweite Sohn kommt, ist Hamid zornig, denn er will die Verantwortung nicht. Die Revolution geht vor. Selten gibt es Gemeinsamkeiten und schließlich geschieht auch das Schlimmste und Hamid wird verhaftet, gefoltert und bleibt Jahre im Gefängnis. Dabei hat er noch Glück gehabt, denn er Rest seiner Gruppe wird bei einem missglückten Anschlag getötet.

Masumeh muss sich durchschlagen und schafft das auch. Obwohl es schwierig ist als Frau eines politischen Gefangenen, findet sie Arbeit, versucht nebenher zu studieren und erzieht ihre Kinder alleine. Schließlich kommt Hamid frei und bald danach wird der Schah gestürzt. Aufbruchstimmung im Land, aber auch neue Konflikte und Enttäuschungen – und auch Terroranschläge. Schließlich wird Hamid erneut verhaftet und hingerichtet. Dann beginnt auch noch der Krieg gegen den Irak.

Neben ihren Existenz- und Alltagssorgen: sie verliert ihren Arbeitsplatz, der Krieg wirkt sich auf die wirtschaftliche Lage aus, muss Masumeh jetzt noch mehr um ihre Kinder kämpfen. Der Ältere, Siamak, ist zutiefst erschüttert und wütend über das was seinem Vater zugestoßen ist und schließt sich den Volksmudschaheddin an(eine Terrorgruppe mit einer pseudoreligiösen/kommunistischen Ideologie). Gerade noch kann sie ihn vor einer Gefängnisstrafe bewahren. Sie schafft es, dass er ins Ausland gehen kann, wo er zur Vernunft kommt. Der Jüngere, Masuud, verliert jedes Interesse an seinen künstlerischen Aktivitäten. Er geht sobald wie möglich an die Front, gerät in Gefangenschaft, kommt aber fast unversehrt zurück. Und Shirin, ihre Tochter soll studieren wie die Brüder.

Alles macht Masumeh möglich. Am Ende des Romans ist sie Anfang 50, allen geht es nach einigen Schwernissen gut. Mit der Familie herrscht Frieden, der Bruder Ahmad ist drogensüchtig gestorben, Mahmud als heuchlerischer Pseudofrommer hat sich etabliert, ebenso Ali. Masumeh lebt in geordneten Verhältnissen, die Kinder sind verheiratet, sie ist Großmutter. Da taucht ihr alte Schulfreundin Parvaneh zu einem ihrer seltenen Besuche auf und erzählt, dass sie Saeid getroffen hat….

Ich erzähle jetzt nicht den Ausgang der Geschichte, das wäre gemein. Denn bei allem Zeigeschehen ist es ja doch auch eine Liebesgeschichte.

—-

Ja, was soll ich dazu sagen: ich hab das Buch verschlungen, mich interessiert nun mal alles rund um Iran und eine Geschichte in Romanform, die aber die ganzen Geschehnisse der Revolution und danach umfasst, die kann ich nicht liegenlassen. Und das darf auch sehr gerne persönliche Geschichte umfassen, Liebe, Familie und was das Herz berührt.

Und ich war auch berührt und bin trotzdem enttäuscht. Der Erzählstil gefiel mir nicht so recht. Es muss nicht furchtbar blumig und verschnörkelt sein, wie man es vielleicht von den poetischen Iranern erwartet. Aber die handelnden Personen blieben zum größten Teil und die meiste Zeit irgendwie blutleer. Es ist mehr eine Schilderung des Ablaufs, als eine fesselnde Beschreibung der Persönlichkeiten und ihrer Entwicklung. Interessant war es trotzdem und natürlich fließen auch mal Tränen, bei diesen dramatischen Ereignissen. Aber selbst Masumeh habe ich nicht richtig kennen gelernt.

Klar, sie ist eine Kämpferin um ihre Rechte und um ihre Familie. Und sie verliert ihren Glauben nie. Und trotzdem: auch wenn sie in der Not, oder aus Dankbarkeit die heiligen Stätten aufsucht, von Fatima Masume a.s. in Qom, oder Imam Ridha a.s.in Mashad – was das für sie bedeutet, kam bei mir nicht an. Sicher ist sie gläubiger als ihr heuchlerischer Bruder, oder ihre tradtionsbesessene Mutter – aber ich spürte das nicht.

Ebensowenig vermittelte die Autorin mir die revolutionäre Aufbruchstimmung – das spielt sich irgendwie „draußen“ ab, außerhalb von Masumehs Wohnung in der sie festsitzt. Aber auch an ihrem Arbeitsplatz wird nicht recht klar, worum die Gesellschaft streitet.

Also es ist alles irgendwie blass. Vielleicht stört mich das, weil ich ja doch eher mit Leidenschaft für den Islam und auch für Iran streite.

In Iran war das Buch ein großer Erfolg, wenn es wohl auch Mühe gekostet hat, die Veröffentlichung umzusetzen. Natürlich kommt der Klappentext nicht ohne Hinweis darauf aus, dass „Nachdrucke immer wieder verhindert“ wurden. Ich hab mal ein bisschen gegoogelt: inzwischen ist dort die 21. Auflage erschienen. Da kann man nicht von Zensur sprechen. Ich glaube nicht, dass der Stil des Buches davon geprägt ist, dass die Autorin die Veröffentlichung möglich machen wollte. Vermutlich ist sie einfach keine tolle Schriftstellerin. Dass den Behörden vielleicht die Schilderungen von Drogensucht und außerehelichen Beziehungen nicht so gefallen haben kann ich mir vorstellen, aber es gibt sicherlich viel kritischere Romane in Iran. Hier wird die Islamische Republik weder gelobt, noch verdammt. Die Menschen leben eben dort und man erfährt, dass sie ganz normal leben, normal für ihre Kultur natürlich, die eine andere ist als unsere.

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Parinoush Saniee

Was mir zusteht
Roman

Originaltitel: Quello che mi spetta
Aus dem Italienischen von Bettina Friedrich

Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 480 Seiten, 13,5 x 21,5 cm
ISBN: 978-3-8135-0524-5
€ 19,99 [D] | € 20,60 [A] | CHF 28,50* (* empf. VK-Preis)

Rezension in der TAZ: http://www.taz.de/!119952/

Verlag: Knaus

Lebensunwertes Leben–“das muss doch heute nicht mehr sein”

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Bismillahir rahmanir rahim

Nicht dass Ihr denkt,  ich sei mal wieder verschwunden. Nein, ich bin ganz präsent und aktiv, aber im Hintergrund, da ist nämlich bei mir gerade viel los. Darum kam ich auch gar nicht zum Artikelschreiben, ich hab einiges vor, aber einfach keine Zeit zur Recherche. Ein “kleines” Thema hat sich aber in den Vordergrund gedrängelt. Es freut mich sehr, dass mein uralter Artikel “Islamische Betrachtung von Krankheit und Behinderung” ein echter Dauerbrenner geworden ist, der hat seit Jahren die höchsten Zugriffszahlen. Da hat er sich eine kleine Ergänzung verdient. Und dann sprach mich kürzlich jemand an, weil in einer Diskussion über Syrien, also ganz andere Baustelle, dieser Kommentar gemacht wurde:

Es entspricht doch dem Wesen des Islam, Behinderte auszugrenzen und die Schmach und Gottesstrafe von der Familie fernzuhalten, indem sie weggesperrt werden oder noch besser einfach “verschwinden”. Die Islamisten werden dies umso mehr verwirklichen, wenn sie die Kontrolle über noch mehr Gebete haben.

Ich habe als Argumentationshilfe auf o.g. Artikel verwiesen und gesagt, dass ja wohl derjenige, der so etwas behauptet in der Beweispflicht ist. Aber irgendwie muss die Formulierung vom “verschwinden” etwas bei mir ausgelöst haben, ich hab mich nämlich an das “Euthanasieprogramm” der Nazis für behinderte und kranke Menschen erinnert. Hier sind Tausende von Behinderten mitten aus unserer “christlich-jüdischen” Tradition  verschwunden. Hat man je so etwas je aus islamischen Gebieten gehört?

Nein, das ist hier in Europa geschehen und ich will nicht ungerecht sein: die christlichen Religionsgemeinschaften haben das natürlich nicht gewollt und gefördert. Im Gegenteil war es der Bischof von Münster, Clemens August von Galen, der 1941 in seiner sogenannten “Euthanasiepredigt” diese Praxis anprangerte und damit solche Unruhe auslöste, dass das Regime diese einstellen musste – jedenfalls in dieser offensichtlichen und durchorganisierten Form, natürlich wurden auch nach 1941 Behinderte ermordet, psychisch Kranke verhungerten in der “Anstalt”. Und die Juden waren natürlich auch nicht beteiligt, die waren in dieser Zeit selber Opfer und “verschwanden”. Aus der Predigt von Galens:

«Seit einigen Monaten hören wir Berichte, dass aus Heil- und Pflegeanstalten für Geisteskranke auf Anordnung von Berlin Pfleglinge, die schon länger krank sind und vielleicht unheilbar erscheinen, zwangsweise abgeführt werden. Regelmäßig erhalten dann die Angehörigen nach kurzer Zeit die Mitteilung, der Kranke sei verstorben, die Leiche sei verbrannt, die Asche könne abgeliefert werden. Allgemein herrscht der an Sicherheit grenzende Verdacht, dass diese zahlreichen unerwarteten Todesfälle von Geisteskranken nicht von selbst eintreten, sondern absichtlich herbeigeführt werden, dass man dabei jener Lehre folgt, die behauptet, man dürfe so genannt lebensunwertes Leben vernichten, also unschuldige Menschen töten, wenn man meint, ihr Leben sei für Volk und Staat nichts mehr wert. Eine furchtbare Lehre, die die Ermordung Unschuldiger rechtfertigen will, die die gewaltsame Tötung der nicht mehr arbeitsfähigen Invaliden, Krüppel, unheilbar Kranken, Altersschwachen grundsätzlich freigibt!»

Trotzdem ist es aus “unserer” Mitte entstanden. Warum waren es so wenige Menschen, die ihre “christliche” Grundorientierung nicht vergessen haben?

Jetzt sollte man meinen, dass wir Deutschen etwas gelernt hätten. Schließlich bringen wir heute ja auch keine Juden mehr um, höchstens ein paar Ausländer, aber in bescheidenem Rahmen (ich beziehe mich hier jetzt mal auf uns Deutsche, obwohl die “christlich-jüdische-westliche” Wertegemeinschaft ja noch ein paar Länder mehr umfasst. So sagt man uns jedenfalls regelmäßig, obwohl ich gar nicht weiß, wie das in anderen europäischen Ländern so bezeichnet wird). Und was Kranke und Behinderte angeht, so haben wir doch ein ausgebautes vorbildliches Gesundheits- und Sozialsystem, oder?

Ich will nicht ungerecht sein: das haben wir tatsächlich. So viel Förderung und Unterstützung wie behinderte Menschen in Deutschland erfahren, bekommen sie fast nirgendwo auf der Welt. Vorausgesetzt, sie haben das Euthanasieprogramm überlebt.

Wie – Euthanasieprogramm?

Ja, ich muss Euch sagen, dass das Vernichtungsprogramm für lebensunwertes Leben der Nazis perfektioniert und ausgebaut wurde und erfolgreich praktiziert wird. Heute wird bei 95% der ungeborenen Kinder bei denen man vorgeburtlich eine schwerwiegendere geistige oder körperliche Behinderung diagnostizieren konnte, verhindert, dass sie lebend das Licht der Welt erblicken. Man bringt sie vorher um.

Im dritten Reich gab es keine pränatale Diagnostik, deshalb musste das “lebensunwerte Leben” erst einmal lebend geboren und dann ermordet werden. Damals argumentierte man:

daß das Leben jener, die unter „unheilbarer Blödsinnigkeit“ litten, „absolut zwecklos“ sei und eine „furchtbar schwere Belastung“ sowohl für die Angehörigen als auch für die Gesellschaft darstelle. „Obwohl sie keinen Wert besitzen, müssen große Massen gesunder Menschen sie pflegen.Zitat aus: Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens

Heute werden solche Ausdrücke nicht mehr benutzt. Eine Schwangere, die erfährt dass ihr Kind nicht gesund sein wird, gerät selbstverständlich in eine Krise. Ganz normal. Aber ist es normal dass über 90% der Mütter in einer solchen Situation sich entscheiden, das Kind nicht zu bekommen, wenn man ihnen diese Möglichkeit aufzeigt? Da ist es doch wohl so, dass man nicht tröstet, aufklärt, auf Hilfsmöglichkeiten hinweist, sondern dass ganz schnell “die Lösung” aufgezeigt wird: die Abtreibung als

„medizinische Indikation“ subsumiert, „… um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden.“ wiki

Die Österreicher sind da ehrlicher und schreiben tatsächlich als Grund die körperliche oder geistige Behinderung eines Menschen in ihr Gesetz.

Übrigens gelten die 90-95% Abtreibungen bei diagnostizierten Behinderungen für die ersten 12 Schwangerschaftswochen. Aber immerhin 60% aller später als behindert diagnostizierten Kinder werden auch im späten Stadium der Schwangerschaft noch “abgetrieben”. Und wie man das dann nicht Mord nennen kann ist mir rätselhaft.

Eine schreckliche Geschichte mit einem glücklichen Ausgang, dieses Kind hat überlebt und gedeiht heute in einer Pflegefamilie:

25. Woche, plus vier Tage. Da ist der Bauch schon gewölbt. Das Kind strampelt kräftig. Es erkennt die Stimmen von Mutter und Vater. Es kann leben. Doch Susanne B. war nur verzweifelt, war sich sicher: Ein Leben mit einem behinderten Kind, das schafft sie nicht.

Alles ging ganz schnell. Um 11.15 Uhr hatte ihr der Arzt die Diagnose mitgeteilt. Um 14.30 Uhr stand sie mit dem Koffer auf der Frauenstation. Eine Medizinerin klärte auf: „Wahrscheinlich stirbt der Fötus während oder kurz nach der Geburt. Vielleicht wird er aber leben.“ Susanne B. war überfordert, reagierte panisch: „Ich will es nicht. Ich verlange, dass Sie mir das wegmachen.“ Sie droht sogar mit Selbstmord. Gegen 16 Uhr wird die Geburt eingeleitet.

Als alles vorbei war, grübelte Susanne B. oft: Wäre es besser gewesen, wenn ich nichts gewusst hätte von der Behinderung? Oder besser, wenn ich viel mehr gewusst hätte – über das Down-Syndrom, das, was sie nur als „Mongolismus“ kannte? „Dann hätte ich mich für eine normale Entbindung und gegen einen Abbruch entschieden“, sagte sie später.

Susanne B. tat, was neunzig Prozent aller Mütter tun, wenn sie erfahren, dass ihr Kind Down-Syndrom hat. Sie entschied sich für eine Abtreibung. Auch in Grenzfällen wie bei Tim, wenn das Kind schon leben kann, brechen 62 Prozent aller Mütter die Schwangerschaft ab. Das belegen Zahlen aus der Frauengesundheitsforschung.

Geboren worden, um zu sterben

Die Spätabtreibung darf allerdings nie mit der Behinderung begründet werden, nur mit einer körperlichen und seelischen Notfallsituation der Mutter. 237 Spätabtreibungen wurden dem Statistischen Bundesamt im vergangenen Jahr gemeldet. Hubert Hüppe, Behindertenbeauftragter der Bundesregierung (CDU) schätzt, dass es in Wahrheit viel mehr sind. Denn Embryos, die schon im Mutterleib mit einer Kalium-Chlorid-Spritze getötet und unmittelbar danach geboren werden, tauchen in dem Zahlenwerk nicht auf.

Susannes Baby sollte auf seinem Weg durch den Geburtskanal sterben, an den Anstrengungen und toxischen Medikamenten, die die Wehen einleiteten.

Tim hat seine Mutter nie kennen gelernt. Nach mehr als 30 Stunden Qual und Schmerzen musste der Arzt ihn aus Susannes Leib herausziehen, weil er sich noch nicht gedreht hatte. Ein kleines Bündel Mensch, nur 650 Gramm schwer, leichter als ein Paket Mehl.

Susanne wollte Tim nicht sehen, die Pfleger brachten ihn weg. Neun Stunden lag der Fötus nackt in einem Kreißsaal in Oldenburg, notdürftig in ein paar Handtücher gewickelt. Wozu ein Wärmebettchen, ein Brutkasten? Dieses Kind war geboren worden, um zu sterben. Doch Tim gab nicht auf: Als sein Körper schon auf 28 Grad abgekühlt war, schnappte er noch nach Luft. Da kam er auf die Frühchenstation, und später dann zur Familie G.

Die Mutter dieses kleinen Jungen, die selber gesagt hat, dass sie sich anders entschieden hätte, wenn man sie richtig aufgeklärt hätte, ist laut “Spiegel”-Artikel tot. Es steht nicht genau warum, aber es klingt nach Suizid.

Natürlich kann man sagen, es ist leicht dahergeredet, wenn man nicht in der Situation steckt, so wie es diese Mutter in einem Forum berichtet hat:

Wir hatten uns so sehr ein Kind gewünscht, alles war so schön, bis der Tag X kam. Routineuntersuchung. Schwerstbehindert, Lebenserwartung max 1-2 Jahre, Leben lang OP„s , geistig und körperlich schwerstbehindert.
Oder „die SS vorzeitig beeenden“, von erster Sekunde an, war uns klar, daß dies die Entscheidung sein wird…zwischen Befund und Krankenhaus ließen wir uns dennoch 1 Woche Zeit, (laut Gesetz sind es 3 Tage)….
FA und anderer Arzt, wegen Zweitmeinung, sollen ja neutral auftreten, doch man merkte, daß auch diese unsere Entscheidung aufnahmen und es wohl auch daß beste sein. Für das Kind, ja und auch für die (egoistischen) Eltern. Wir wollten dem Kind , ja und auch uns viel Leid ersparen.
Ich mußte zur Beratung, zu der Dame sagte ich, ich hasse mein Kind, weil es schwerbehindert ist, ich hasse mich, weil ich nicht in der Lage bin, ein gesundes Kind in mir zhu haben. Die Dame meinte;: Sie hassen ihr Kind nicht, SIE HASSEN NUR DIE Situation, in der sie sich befinden.
Recht hatte sie, dennoch schäme ich mich, daß ich kurzfristig mein Kind haßte, auch eine FA meinte zu mir, keiner kann was dafür, Sie nicht, daß Kind nicht, es ist ein Teil von Ihnen, egal wie sie sich entscheiden, es ist ein Teil von Ihnen.
Die stille Geburt wurde eingeleitet, es dauerte 3 Tage bis es losging, dann ging es blitzschnell von heftiger Wehe bis Geburt dauerte 10 MInuten. Danach AS.
Körperlich ging alles sehr gut, nur im Kopf ist es dennoch schwer, auch wenn man sich gegen das Kind entscheidet.
Es ist schwer damit klarzukommen, auch wenn ich mich wieder gegen das Kind entscheiden würde.
Die Sehnsucht nach einem Baby ist groß, doch die Angst auch. Sicher gibt es keinen Anspruch auf ein gesundes Kind, klar, kann daß Kind ein Unfall haben, aber es ist ein Unterschied ob von vornherein klar ist, daß dieses Kind nur leiden wird. Und die Frauen, die selbst nur gesunde Kinder haben“ Ich hätte das Kind bekommen“. Die haben leicht reden.
Ich denke, es versteht jemand nur einen, der in der gleichen Situation war und auch wenn man sozusagen hart ausgedrückt: sein kind umgebracht hat, so ist man dennoch traurig.

Aber was heißt “sozusagen”? Ja, sie haben ihr Kind umgebracht. Und damit will ich gar nicht behaupten, dass sie das Kind nicht geliebt hätten  und dass sie nicht gelitten haben. Aber da war ein lebensfähiges Kind mit schweren Behinderungen und andere haben entschieden, ob sein Leben lebenswert oder lebensunwert ist.

Noch ein Beitrag aus einem Forum:

Letztendlich entschieden wir uns zum Wohl des Kindes ( und auch zu unserem Wohl) die Schwangerschaft abzubrechen.

Hier ging es um ein Kind mit Down-Syndrom. Weiter war nichts bekannt, das war eine Abtreibung in der Frühschwangerschaft. Menschen mit Down-Syndrom können schwer behindert sein, oder auch nur ganz leicht. Aber ist das nicht auch egal? Was heißt hier das “Wohl des Kindes”? Es hätte ein quietschvergnügtes Menschenkind sein können.

Warum raten Ärzte so schnell dazu, eine Schwangerschaft mit einem behinderten Kind abzubrechen und sei es auch in Form einer Spätabtreibung, bei der sie das Ungeborene  dann oft erst mit einer Kaliumchlorid-Spritze in das Herz töten? Es ist tatsächlich so, dass anscheinend viele Ärzte Schadenerzatzklagen fürchten, wenn ein behindertes Kind geboren wird und überlebt. Aber entscheidender scheint mir tatsächlich die gesellschaftliche Haltung zu sein, die schon die Nazis verbreitet haben und die sich in solchen Aussagen zeigt:

Der Direktor der Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Köln, Peter Mallmann, vertrat im April 2000 die Position, die Pränataldiagnostik sei „gesundheitsökonomisch notwendig zur Kostenreduktion im Gesundheitswesen” Bei einer Umfrage in Deutschland Anfang 2001 befürwortete mehr als der Hälfte der Befragten pränatale Untersuchungen, „da sie zum Beispiel helfen, Kosten im Gesundheitswesen zu reduzieren“.wiki

Und wie im Dritten Reich sind es die Kirchen, die dieser Haltung widersprechen. Da funktioniert es, mit dem christlichen Wertesystem.

Eine Mitarbeiterin der “Zeit” schrieb dort über die Reaktionen der Mitmenschen auf ihre behinderte Tochter:

Im Sportverein. Ben rennt mit den anderen Kindern um die Wette, ich trinke Latte macchiato und lasse Lotta auf meinen Knien reiten. Sie grinst. Eine andere Mutter:

»Wann hat man das denn festgestellt?«

»Die Fehlbildung? Im neunten Monat, 33. Woche.«

»War es da zu spät?«

»Wofür?«

»Um was dagegen zu machen.«

»Das kann man nicht im Mutterleib operieren.«

»Nein, aber…«

Das Wort »abtreiben« spricht sie schon nicht mehr aus.

Warum gibt es dich, Lotta? Ein behindertes Kind, das muss in Deutschland heute doch nicht mehr sein.

Das ist ein sehr lohnender Artikel und auch seine Fortsetzung. Inzwischen ist auch ein Buch erschienen glaube ich, hab aber noch nicht danach gesucht.

Dieses “das muss doch heute nicht mehr sein” erleben wohl alle Eltern, die sich entscheiden ein Kind trotz Behinderung zu bekommen. Und das ist ein echtes Armutszeugnis für unsere Gesellschaft und zeigt, dass in dieser noch eine Menge Nazi-Ideologie steckt. Ich meine damit nicht die Gewissensnöte von Eltern, die sich für oder gegen ein Kind entscheiden sollen, sondern dass ihnen nicht in diesem Moment schon alles Erdenkliche was man als Gesellschaft leisten kann, als Hilfe angeboten wird und dass man ihnen nicht Mut macht, sondern das kranke Baby als ein lösbares Problem darstellt. Und wenn alle behinderten Kinder geboren würden und das Gesundheits- und Sozialsystem viel Geld kosten würden: unser reiches Land würde daran ebensowenig zugrundegehen wie an ein paar zigtausenden Flüchtlingen mehr, oder daran allen Menschen in diesem Land ein bedingungsloses Grundeinkommen zu garantieren von dem man würdig leben kann. Übrigens würde man damit auch viele ehrenamtliche Helfer mobilisieren, da bin ich ganz sicher.

Aber so rechnet man in einem kapitalistischen Land nicht, denn der Kapitalismus kann bekanntermaßen nicht rechnen. sonst würden ja nicht alle diese irrwitzigen Schuldenkrisen und dgl. entstehen. Hier muss der der lebt, produktiv sein und nicht behindert geboren, krank geworden oder alt und gebrechlich.

Das ist Gedankengut vom “unwerten Leben”. Zum Glück ist diese Ideologie nicht alleine vorhanden, sondern hat einen menschlichen Gegenpol und der ist es, der uns die vielen guten Angebote für Behinderte verschafft. Das will ich nicht in Abrede stellen, sondern wollte nur auf diese starke andere Richtung hinweisen.

Aber zum Schluss nochmal zur Ausgangsbehauptung, dass der Islam behinderte Kinder am liebsten “verschwinden lassen” würde. Wir haben gesehen, dass es in unserer nichtislamischen Gesellschaft die Wahrheit ist, dass Behinderte “verschwinden” und zwar so früh, dass möglichst keiner außer dem medizinischen Personal und den Eltern je davon gewusst hat. Das ist im Islam nicht der Fall, denn Abtreibung aus dem Grund, dass das Kind behindert ist, erlaubt der Islam nicht. Hier  Fatwas von Ayatollah Chamene´i:

F. 181: Nach der Untersuchung über ihren Zustand in den ersten Monaten der Schwangerschaft informierte der Arzt die Frau, dass, wenn die Schwangerschaft fortgesetzt wird, möglicherweise Gefahr für ihr Leben besteht, und dass, wenn die Schwangerschaft fortgesetzt wird, das Kind behindert geboren werden würde. Und deshalb hat der Arzt angeordnet, die Schwangerschaft abzubrechen. Ist diese Handlung dann erlaubt? Und ist (grundsätzlich) der Schwangerschaftsabbruch vor dem Eintritt der Seele in diesen (Embryo) erlaubt?

A: Dass ein Embryo behindert ist, ist keine religionsrechtliche, Rechtfertigung, um ihn abzutreiben, selbst vor dem Eintritt der Seele in diesen (Embryo). Jedoch mit der Befürchtung für das Leben der Mutter bei fortgesetzter Schwangerschaft besteht kein Hindernis zum Schwangerschaftsabbruch des Embryos vor dem Eintritt der Seele in diesen (Embryo), falls diese (Befürchtung) sich auf die Aussage eines Facharztes stützt, der vertrauenswürdig ist.

F. 182: Fachärzte können durch die Anwendung neuer Methoden und Geräte viele der Mängel eines Embryos (bereits) während der Schwangerschaft bestimmen. Ist die Abtreibung des Embryos, über den der vertrauenswürdige Facharzt informiert hat, dass er missgebildet ist, erlaubt im Hinblick auf die Schwierigkeiten, die Missgebildete nach ihrer Geburt erleiden? Und wird in dieser Hinsicht ein bestimmtes Alter (des Embryos) vorausgesetzt?

A: Ein Schwangerschaftsabbruch allein dafür, dass dieser (Embryo) missgebildet ist oder für Schwierigkeiten, unter dem er während seines Lebens leiden wird, ist in keinem Alter erlaubt.

Der Vollständigkeit halber dann noch zur Abtreibung allgemein:

F. 185: Wie ist das Urteil zum Schwangerschaftsabbruch an sich, und wie ist das Urteil, wenn bei Fortsetzung der Schwangerschaft Gefahr für das Leben der Mutter besteht. Und die Erlaubnis (zum Schwangerschaftsabbruch) angenommen, wird dann unterschieden zwischen dem, was vor Eintritt der Seele und dem, was danach erfolgt?

A: Der Schwangerschaftsabbruch ist religionsrechtlich verboten und in keinem Fall erlaubt, außer wenn bei der Fortsetzung der Schwangerschaft eine Gefahr für das Leben der Mutter besteht. In diesem besonderen Fall besteht kein Hindernis dazu, die Schwangerschaft vor dem Eintritt der Seele in diesen (Fötus) abzubrechen. Aber nach dem Eintritt der Seele ist es nicht (mehr) erlaubt, ihn abzutreiben, selbst wenn beim Fortsetzen (der Schwangerschaft) eine Gefahr für das Leben der Mutter besteht, außer wenn die Fortsetzung der Schwangerschaft zum gemeinsamen Ende seines Lebens und (auch des Lebens) der Mutter führt und es nicht möglich ist, das Leben des Fötus auf jegliche Weise zu retten, aber es durch Schwangerschaftsabbruch möglich ist, das Leben der Mutter alleine zu retten.

Der Eintritt der Seele wird in den dritten Schwangerschaftsmonat datiert. Das sind wie gesagt religionsrechtliche Aussagen von Ayatollah Chamene´i, ich glaube aber dass es da kaum Unterschiede zu anderen shiitischen oder sunnitischen Gelehrten geben wird, aber das kann man bei Interesse ja herausfinden. Wir sehen also, dass das Recht zur Abtreibung im Islam grundsätzlich erst einmal nicht gegeben ist und das nur unter schwerwiegenden medizinischen Gründen anders gesehen wird. Wirtschaftliche Gründe zählen dabei übrigens überhaupt nicht und auch nicht die Frage des Geschlechts, was in Indien, China und sogar einigen europäischen Ländern ganz anders ist. Als der Prophet Muhammed, s.a.s., mit der göttlichen Botschaft zu den Arabern kam, wurde übrigens die verbreitete Praxis gestoppt, neugeborenen Mädchen im Wüstensand lebendig zu begraben. Sozusagen auch eine “Spätabtreibung”.

Aus dem heiligen Qur´an dazu (Sure 42, Verse 49+50)

Allahs ist das Königreich der Himmel und der Erde. Er schafft was Er will. Er beschwert Mädchen, wem er will, und er beschert die Knaben, wem Er will.

Oder Er gibt beide, Knaben und Mädchen, und Er macht unfruchtbar, wen Er will. Er ist Allwissend, Allmächtig.

Ob Abtreibung erlaubt sein sollte oder nicht, das ist ein Thema über das man an anderer Stelle diskutieren kann – ich habe dazu meine Meinung im Laufe meines Lebens sehr radikal verändert. Heute weiß ich, dass Gott es uns verbietet, bis auf ganz wenige Ausnahmen, wie sie in den Fatwas genannt sind. Aber Gott sagt nicht, dass die Familien und die Gesellschaft Eltern mit ihren Kindern alleine lassen soll, ob diese nun gesund oder krank und die Familien reich oder arm sind. Jeder kann mit jeder Herausforderung fertig werden, mit der entsprechenden Hilfe.

Aber ganz zum Schluss: Muslime lassen ihre behinderten Kinder nicht vorgeburtlich “verschwinden”, wie es unsere westliche Kultur hier so unschön vormacht. Ob sie sie aber später dann isolieren, verstecken, nicht genügend fördern? Dazu kann man wenig Material finden.

Ich kann nur von einem befreundeten Ehepaar in der Türkei berichten, dem angeboten wurde, das als behindert diagnostizierte Kind abzutreiben – ja, auch in der TR wird das gemacht. Sie haben sich entschieden, das Baby zu bekommen, aber es ist gestorben. Ein anderer kleiner Junge mit einer ziemlichen Entwicklungsverzögerung und einer Sehbehinderung, lebt ganz normal mit seiner Familie, liebevoll umsorgt und alle passen auf ihn auf. Aber da fehlt es ganz sicher an Förderung, in den Kindergarten geht er nicht wie alle anderen und auch in keinen speziellen. Da gibt es noch viel zu tun. Organisationen die sich um behinderte Kinder kümmern gibt es wohl in allen muslimischen Ländern, aber darüber was sie leisten können, findet man nicht so leicht etwas heraus. Aber in einem Forum für “besondere Kinder” habe ich eine interessante Diskussion zum Thema:

Wie steht der Islam zum Thema Behinderung?

gefunden. Da diskutieren verschiedene Eltern, auch muslimische, sehr aufschlussreich.

Hier ein Film aus einer syrischen Behinderteneinrichtung, vor dem Krieg. Da ein Film aus Syrien ja die Inspiration zu diesem Artikel gegeben hat, passt das doch. Was wohl aus den Kindern in dieser Einrichtung geworden ist?

Dieser Artikel ist länger geworden als geplant und hat mich auch schon eine Weile beschäftigt vor der Niederschrift. Obwohl ich über das Thema der Morde an behinderten Kindern, denn so kann ich diese Spätabtreibungen nur sehen schon mal gelesen hatte, hab ich mich nicht so reingehängt und nicht gewusst, dass das Hunderte von Malen im Jahr in Deutschland vorkommt. Abtreibungen in einem früheren Stadium – vielleicht vor dem Einzug der Seele in den Embryo kann ich jetzt aber auch nicht viel anders finden. Das Thema Abtreibung ist ein schweres. Aber es ist nicht nur Verantwortung der Frau bzw. Eltern alleine, die sich überfordert fühlen, sondern die einer Gesellschaft, die sich nicht kümmert und in der nur zählt wer pflegeleicht und produktiv ist. Wieviel Nazi-Gedankengut doch in diesem unserem System steckt!

Mein Opfertier heißt Ego

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Mein Opfertier heißt Ego

Bismillahir rahmanir rahim

 

Gedanken über das Opferfest und das Opfern habe ich mir im letzten Jahr gemacht – und als ich mir überlegte, was ich denn dieses Jahr zum Anlass des Opferfestes schreiben könnte, fiel mir das wieder ein. Das hatten wir also schon. Aber vielleicht gibt es noch einen Aspekt, der nicht ganz so herausgekommen ist. Dieses Jahr war ein schweres für mich, auch wenn es das große Geschenk der Iranreise enthalten hat. Aber auch eine erneute lange Krankheitsphase und – das zum Thema – ich musste einige meiner Illusionen über Mitmenschen opfern, um in diesem Bild zu bleiben. Soll heißen, ich habe einiges an Gutgläubigkeit, vielleicht auch Naivität über Bord werfen müssen, ich habe eine große Enttäuschung erlebt und muss jetzt damit klarkommen, dass es Menschen gibt, die mir lange Zeit nicht die Wahrheit gesagt haben. Menschen, von denen ich mich aber nicht einfach abwenden kann und will. Was ist jetzt mein Opfer?

Ich kann das auf verschiedene Arten betrachten: einmal bin ich ein Opfer. Ein Opfer der Unehrlichkeit anderer Leute. Für die kann ich nichts. Aber auch ein Opfer meiner eigenen Gutgläubigkeit. Die man aber vielleicht ja auch als mehr oder weniger bewußtes Weggucken aus Angst oder Trägheit betrachten kann. Dann hätte ich nicht das Opfer sein müssen. Auf jeden Fall sind das Dinge, die unter uns Menschen passieren, finde ich. Das hat Gott nicht von mir verlangt, weder dass ich die Lügen anderer Leute aushalte, noch dass ich die Augen davor verschließe.

Dass die Angelegenheit aber aufgeflogen ist, das hat Gott gemacht – so sehe ich das. Vielleicht weil es nicht gut gewesen wäre, wäre alles so geblieben, denn die Lügen haben Auswirkungen auf unseren familiären Alltag gehabt. Da war immer was, um das herum ein Gebäude aus Unwahrheit errichtet werden musste, damit es nicht herauskommt. Das hat Spannungen verursacht. Also gab es einen großen Krach. Und jetzt geht es wirklich los mit dem Opfern…..einmal mehr ist mein Gottvertrauen gefragt. Dass ich mich von der Illusion verabschiedet habe, ich habe alles im Griff in meinem Leben, habe ich glaub ich schon öfters erwähnt. Das war eine der wesentlichsten Erfahrungen, als ich zum Glauben gefunden habe: ich bin abhängig von Gott und kann in Wirklichkeit nichts alleine machen. Heißt auch: ich bin geborgen bei Gott und muss nichts alleine machen. Immer wieder ist das für mich schwer zu akzeptieren, aber ich muss sagen, alhamdulillah, bei diesen Ereignissen war es sehr präsent, dass ich nicht alleine bin, auch wenn ich auf die mir am nahe stehendsten Menschen, meinen Mann eingeschlossen, zunächst mal stinkesauer und total enttäuscht war.

Und da beginnt mein wirkliches Opfer, so verstehe ich Gottes Eingreifen. Denn erstens ist es so, dass es Konsequenzen nicht nur für mich, sondern auch für andere Menschen hat, wie ich in Anbetracht dieser Geschehnisse handele. Und das betrifft nicht nur solche, die mitverantwortlich sind, sondern auch Kinder. Ich kann dazu nicht ins Detail gehen, aber wer schon mal mit Streitereien familiärer Art zu tun hatte, wenn es neben um verletzte Gefühle auch um materielle Dinge, Haus, Hof und Lebensbedingungen anderer Menschen geht, der kann das vielleicht nachvollziehen.

Also mein Opfer: schlucken und darauf verzichten, jetzt vor lauter Wut einzufordern, was mein Recht ist, sondern abwarten, was sich da an Lösungen auftun kann – Versöhnung? Den Ausgleich verschieben? Verzicht in Frieden? – was auch immer, Allah wird es mir aufzeigen.

Das ist das materielle Opfer, das Opfertier sozusagen.

Der andere Aspekt, passt ein bisschen in das Thema der Abhängigkeit von Allah und der Illusion der Unabhängigkeit. Ich nenne es mal in Anlehnung an Pippi Langstrumpf „Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt“. Was für die kleine rothaarige Göre passend ist, stimmt für die unterm Kopftuch ergrauende Meryem lange nicht mehr. Die Wurzeln der Problematik sind alt und liegen in meiner vorislamischen Zeit, aber bis heute spielt dabei die Tendenz eine Rolle, dass andere doch die Welt so sehen müssten wie ich. Die Idee, dass sie schon so handeln würden, wie ich es von ihnen verlange und erwarte. Tun sie aber nicht. Sie haben andere Ideen von der Welt und wie sie ihr Leben und das ihrer Familie gestalten wollen. Und vielleicht trage ich mit meiner eigenen Dickköpfigkeit auch einen Teil der Schuld daran, dass sie mir etwas vorgemacht haben. War ja auch nicht sehr schwer, ich hab ja nur durch meine eigene Brille geschaut.

Das ist das immaterielle Opfer: meine eigenen Vorstellungen nicht so wichtig nehmen. Mit meinen verletzten Gefühlen klarkommen, ohne dass andere darunter leiden müssen, vor allem nicht die, die daran gar keine Schuld tragen.

Wie gut, dass ich so spirituell aufgeladen aus Iran gekommen war, als sich das alles zuspitzte. Denn so kann ich nutzen, was das Wichtigste ist:

„Ihr Gläubigen! Sucht (bei Problemen und in Härten) Hilfe in der Geduld und im Gebet! Gott ist mit denen, die geduldig sind.“ (2: 153)

Eine echte Übung für mich, denn mit der Geduld habe ich es sonst im Leben nicht so gehabt. Gerade bei schweren Konflikten mit anderen Menschen habe ich eher ruckzuck alles hingeschmissen, seien es Beziehungen oder Arbeitsplätze gewesen. Dass es von Nutzen sein kann, erst mal abzuwarten, dass sich vielleicht viel mehr verschiedene Möglichkeiten auftun können, das blieb mir dabei natürlich verborgen.

Ein wenig, oder auch ein wenig mehr, hat Gott nachgeholfen, dass ich diese Strategie überdenke, indem er mich mittels Krankheit ausgebremst hat. Ich bin einfach nicht mehr so dynamisch, gleich alles und alle wie eine Dampfwalze zu überrollen. Dass ich aber mehr nachdenke, mich selber überprüfe – nicht alles muss so gehen, wie mein Ego es verlangt – das ist durch den Glauben gekommen, genauso wie die Zuversicht, dass Gott schon helfen wird und es für alles eine Lösung gibt.

In der Sure 94 „Das Weiten“,  spricht Gott zum Propheten, s.a.s.:

Haben Wir dir nicht deine Brust geweitet

dir deine Bürde abgenommen

die schwer auf deinem Rücken lastete

und dein Ansehen erhöht?

Also wahrlich, mit der Drangsal geht Erleichterung einher;

wahrlich, mit der Drangsal geht Erleichterung einher.

Bist du mit der Verkündigung fertig strenge dich im Gebet an
und begehre die Nähe deines Herrn.

Diese Sure kann ich auswendig, aber hab sie lange nicht mehr im Gebet rezitiert. Das werde ich jetzt inshallah in nächster Zeit ändern.

Soweit für heute. Ich wünsche allen meinen Geschwistern und allen anderen Menschen, Geduld und Gottvertrauen in Zeiten der Prüfung.

Weitere ältere Beiträge von mir zum Thema Opferfest und Pilgerfahrt:

https://meryemdeutschemuslima.wordpress.com/2009/11/17/eine-virtuelle-pilgerfahrt-teil-1/

https://meryemdeutschemuslima.wordpress.com/2009/11/18/eine-virtuelle-pilgerfahrt-teil-2-das-eilen/

https://meryemdeutschemuslima.wordpress.com/?s=Eine+virtuelle+Pilgerfahrt